Gabriele Kirchner verabschiedet sich als Prädikantin von Kupferdreh

„Ich wurde nie als Vertreterin der Amtskirche gesehen, sondern als Teil der Gemeinde“

Der Gottesdienst am Heiligen Abend ist nach fast vier Jahrzehnten Gabriele Kirchners letzter als Prädikantin der Gemeinde. Mit Herz und Verstand bei den Menschen, in allen Ämtern erfahren, humorvoll, lebensfroh – so kennt man sie in Kupferdreh und anderswo. Wir haben Frau Kirchner gefragt, was sie geprägt und geleitet hat und was sie in der schwierigen Lage der Kirche bewegt.

Sie sind seit 38 Jahren Prädikantin, im Hauptberuf Lehrerin. Haben Sie noch einen Überblick, wie viel Arbeit Sie in dieses Ehrenamt gesteckt haben? Wie schafft man das?

Da kommen unzählige Stunden zusammen. Allein im letzten Jahr waren es 38 Gottesdienste und Kasualien. Seitdem ich 1985 von Superintendent Dr. Jürgen Regul in Kupferdreh ordiniert wurde, bin ich in allen Bereichen des Gemeindelebens tätig. Ich habe gepredigt, getraut, getauft, beerdigt, Gemeindebriefe ausgeteilt und Vorträge gehalten. Das kann man nur bewältigen, wenn man gut strukturiert ist, Freiräume nutzt und vorausarbeitet. Als Lehrerin habe ich das in der Schule trainieren können, wenn auch in anderer Art und mit einer anderen Zielgruppe.

Warum sind Sie Prädikantin geworden?

Auch ohne Ordination habe ich früher schon in Gemeinden auf dem Hunsrück und an der Mosel gepredigt. Mein Vater war dort Pfarrer. Als ich wieder nach Essen kam, wollte ich Bindeglied zwischen Schule und Gemeinde sein, weil nur noch wenige Eltern eine enge Beziehung zur Kirche hatten. Wir haben dann zusammen Abende zu religiösen Fragen angeboten, Schulgottesdienste organisiert. Später als Presbyterin der Gemeinde hielt ich auch Andachten vor der Presbyteriumssitzung und gestaltete ein Presbyterwochenende mit einem Team. Danach schlug mich Pfarrer Rompf für die Ausbildung zur Prädikantin vor. Das hat sich also nach und nach entwickelt.

Man hört es, da spricht die Tochter eines Pfarrers. Es waren also vor allem das Elternhaus und der Beruf des Vaters, was sie geprägt und inspiriert hat?

Mein Vater war ein leidenschaftlicher Prediger und ging den Menschen nach. Auf dem Hunsrück hielt er zur Erntezeit auf den Feldern Gottesdienste ab. Und wie damals üblich, betätigte sich die ganze Familie in der Kirche. Ich habe bei den Jugendgottesdiensten mitgearbeitet.

Ja, das hat mich geprägt, im positiven Sinn. Denkerische und religiöse Enge gab es in meinem Elternhaus glücklicherweise überhaupt nicht. Der Pfarrer in der Familie war ein vielseitig interessierter Mensch. Archäologe bevor er Theologe wurde. Es war ihm sehr wichtig, dass ich selbst herausfinden konnte, was ich wollte, auch was ich glauben wollte. Ich hatte die Möglichkeit, Menschen unterschiedlicher Herkunft und Nationalitäten kennenzulernen und mich mit anderen Religionen zu beschäftigen. Letztlich habe ich festgestellt, dass unser Glaube der beste für mich ist.

Prädikanten haben andere Lebenserfahrungen und Berufe, dadurch auch einen anderen Blick auf die Gemeinde und das Wort als die theologisch ausgebildeten Pfarrerinnen und Pfarrer. So soll es ja auch sein. Beschreiben Sie uns Ihren Blick?

Als Prädikantin kommt man aus der Gemeinde, pflegt einen engen Kontakt zu den Menschen und bringt deren Alltagserfahrungen mit in die Predigten ein. Als Lehrerin habe ich gelernt, genau zuzuhören, auch zwischen den Zeilen zu hören. Davon habe ich sehr profitiert.

 Hinzu kommt: Ich werde nie als Vertreterin der Amtskirche gesehen, sondern als Teil der Gemeinde. Das schafft Offenheit im Gespräch und fördert den Teamgeist, der eine gute Zusammenarbeit ausmacht. Das ist ganz wichtig. Wir werden in Zukunft mehr Seelsorge, Offenheit und Liebe zu den Menschen brauchen.

Wie sieht die Aufgabenteilung zwischen Pfarrer und Prädikantin aus und wie wird das organisiert?

In Zentrum steht dabei der Predigtplan, den der Pfarrer erstellt und in dem man sich freie Gottesdienste aussuchen kann. Manchmal übernimmt man auch Amtshandlungen, wenn der Pfarrer verhindert ist.  Zu den Kasualien wird man im Laufe der Zeit vermehrt persönlich angesprochen. Das muss natürlich auch abgestimmt werden.

Im Gespräch mit Prädikantin Gabriele Kirchner

Zitat eines Gemeindeglieds: „Frau Kirchner hat ihren eigenen Fan-Club. Da kommen Leute auch aus anderen Gemeinden in den Gottesdienst“. Was sind Ihre Stärken?

Ich kann gut auf Menschen zugehen und sie motivieren. Dazu gehört eine Portion Humor. Den habe ich auch (lacht). Und ich finde es wichtig, Menschen sprachlich mitzunehmen, damit die Verknüpfung von Alltag und biblischem Wort einen Sitz im Leben bekommt.

Welche Aufgaben machen Ihnen besonders viel Freude?  Woran erinnern Sie sich gerne?

Eigentlich macht mir jede Arbeit mit Menschen Freude. Der Lehrerin in mir liegt natürlich die Kinderkirche besonders am Herzen. Da muss man sich sehr in die Vorstellungswelt der Kinder hineinversetzen, in kleinen Schritten, mit Bildern und Bodenbildern arbeiten. Man erlebt auch viele Überraschungen. Ich erinnere mich an eine Taufe, bei der der Junge schon 6 Jahre alt war. Als ich ihn fragte, ob er getauft werden wolle, rief er „Nein“ und rannte zum Ausgang. Der Vater fing ihn ein und brachte ihn zurück. Ich habe dann nochmal nachgehakt: Warum willst du denn nicht getauft werden? Dann kam es raus: „Mein Bruder hat gesagt, dass ich das Taufbecken leertrinken muss.“

Religion und Kirche verlieren in unserer Gesellschaft zunehmend an Bedeutung. Wo sehen Sie unsere Kirche am Ende dieses  Jahrzehnts?

Menschen sind meistens nicht areligiös, können aber mit der Amtskirche nicht mehr viel anfangen. Die Kirche ist zu einer Behörde geworden, in der die Menschen nicht mehr im Mittelpunkt stehen, sondern finanzielle Fragen und Verwaltung eine größere Rolle spielen. Die Volkskirche wird weiter schrumpfen. Ich hoffe aber, dass wir umdenken und umlenken können. Wieder erspüren, was Menschen in unserer angstbehafteten Gesellschaft brauchen. Wir müssen Gemeinschaft neu aufbauen, Menschen wieder ein Zuhause zu geben. Das gilt besonders für Jugendliche, die gerne ihre Fragen zur Religion stellen und Kirche mitgestalten möchten, wenn man ihnen dazu Raum lässt.

Warum sollte man in der Kirche bleiben?

Wenn Menschen die Kirche verlassen, kann es den Aufbruch, von dem ich eben gesprochen habe, nicht mehr geben. Das ist aber nicht nur die Aufgabe der Institution, sondern von allen, die an der Gestaltung von Kirche beteiligt sind. Die Menschen müssen ihre Bedürfnisse äußern können.

Sie werden auch weiter noch ehrenamtlich Aufgaben in der Gemeinde übernehmen. Wir sehen Ihre Pläne aus?

Ich verabschiede mich nicht ganz von den kirchlichen Ämtern. Für Taufen, Trauungen und Beerdigungen von Menschen, die ich kenne, werde ich weiter zur Verfügung stehen, wenn gewünscht wird, dass ich das mache.

Verraten Sie uns noch den Bibelspruch, den Sie am liebsten mögen und der Ihr Leben begleitet?

Das ist der  Psalm 23, der mit den Worten beginnt „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln.“,  weil er die Höhen und Tiefen des menschlichen Lebens umreißt. Der Gemeinde wünsche ich in diesem Sinne weiterhin Gottes Segen und Geleit!

Das wünscht unsere Redaktion auch Ihnen, Frau Kirchner! Vielen Dank für das Gespräch.                   

Das Gespräch führte Manuela Preinbergs