Schlüssel zu den Schatzkammern unseres Lebens
In einer Schatzkammer liegt ein wundervoller Schatz. Und wer die Kammer findet und zu öffnen weiß, kann sich glücklich schätzen. Schatzkammern sind zumeist gut verschlossen oder gar versteckt. Ohne Schlüssel gelangen wir nicht hinein. Wie können Wertschätzung und Dankbarkeit Schlüssel sein? Und was liegt in den Schatzkammern unseres Lebens?
Prof. Dr. Petra Freudenberger-Lötz, Professorin für Evangelische Religionspädagogik an der Universität Kassel und Mitglied der Essener Schule der Kontemplation, suchte auf einer 66-tägigen Radreise nach Antworten und wurde fündig.
2015 hatte ich die Gelegenheit, vier Wochen an einer christlichen Schule in Neuseeland zu hospitieren. Meine Tochter absolvierte dort ein Auslandsschuljahr und nachdem sie mir freudig erzählte, wie gut es ihr gehe und dass ich mir die neuseeländischen Schulen unbedingt ansehen müsse, denn da herrsche ein ganz besonderer Geist, knüpfte ich Kontakt zu Schulen auf der Südinsel und wurde postwendend von einer Schule herzlich eingeladen.
Inspirierende Erfahrung – Der Schulleiter, Brian Seatter, begrüßte mich am ersten Tag in seinem Büro und sagte mir, er wolle mir jetzt sein Kollegium vorstellen. Und so liefen wir von Klassenraum zu Klassenraum. Vor jeder Tür blieb er stehen, erzählte mir, wer dahinter unterrichtete, sagte mir, welch besondere Gabe und welches Talent diese Lehrperson auszeichne und warum sie eine Bereicherung für die Schulgemeinschaft sei. Und dann gingen wir hinein.
Dieses Vorgehen wiederholte sich von der ersten bis zur letzten Tür. Alle Lehrenden waren die besten. Jede und jeder war aus Sicht dieses Schulleiters unabdingbar. Ich war sehr beeindruckt. Und ich konnte spüren, was diese Haltung bewirkte. In dieser Atmosphäre waren die Lehrenden und Schülerinnen und Schüler fröhlich, glücklich, gingen gut miteinander um, kamen in ihr Potenzial. Es wurde geweckt, was in ihnen steckt. Achtsamkeit und Dankbarkeit resultierten aus der Haltung der Wertschätzung. Wie ein kostbarer Schatz wurde diese Atmosphäre gepflegt. Ein Schultag, so Brian, sei dann ein gelungener Tag,
wenn er einem Schüler, einer Schülerin oder Lehrperson zeigen könne, dass mehr in ihr oder ihm steckt als er oder sie es vorher gedacht hat. „Ich glaube, dass Gott ein großes Potenzial in einen jeden Menschen gelegt hat, und ich sehe es als meine Aufgabe an, jeden Menschen entsprechend aus dieser Perspektive Gottes zu sehen“, so Brian. Er sagte mir auch, dass er in dieser Haltung generell Menschen begegne. Alle Menschen bringen Begabungen und viele Lebenserfahrungen in eine Begegnung ein. Mache er sich dies bewusst, werde jede Begegnung reich.
Was macht Wertschätzung mit uns? – Es hat sich etwas Kostbares in mir geregt. Ein Pflänzchen, das in mir genährt wurde, Tag für Tag. Und als ich zurück in Deutschland war, fragte ich mich: Wie kann ich weiterhin so leben? Wie kann ich andere davon begeistern? Und: Was passiert eigentlich in einem Menschen, dem Wertschätzung entgegengebracht wird? Ich hatte ja am eigenen Leib erfahren, dass etwas Besonderes in mir geweckt wurde.
Physiologisch betrachtet wirbelt Wertschätzung unser Hormonsystem auf. Es werden Hormone ausgeschüttet, die uns in unsere Kraft bringen, die uns Ausdauer, Mut und Zuversicht schenken. In unsere Kraft, die wir mit auf den Lebensweg bekommen haben. Wertschätzung ist lebensnotwenig, Wertschätzung ist ein Grundbedürfnis eines jeden Menschen, Nahrung für das Aufwachsen. Es ist wichtig zu erfahren: Ich bin gewollt, ich bin angenommen, ich bin gut wie ich bin, ich werde gesehen, ich werde geschätzt.
Jeden sehen, wie Gott uns sieht – Brian sprach davon, jeden Menschen zu sehen, wie Gott uns sieht. Das ist gut biblisch. Hat Gott uns nicht als sein Ebenbild erschaffen? Wir können die Bibel aus der Perspektive der Wertschätzung lesen und werden neu die Augen geöffnet bekommen. Menschen werden aufgerichtet, reich beschenkt, unendlich geliebt. Wertschätzung ist ein Grundbedürfnis, gehört elementar zum Menschsein dazu, das erfahren wir in der Bibel. Gott schätzt uns unendlich wert. Warum nur ist dies in Vergessenheit geraten? Wir kritisieren uns tagtäglich, sehen das Haar in der Suppe und das halb leere Glas?

Und das ist der springende Punkt: Durch welche Brille und aus welcher Perspektive sehen wir unser Leben? Und: Wie lernt die junge Generation, ihr Leben Jede Sekunde prasseln zahllose Informationen auf uns ein.
Menschen sind Schwarzseher – Wir filtern, teilweise bewusst und teilweise unbewusst. Seit der Mensch Jäger und Sammler war, sammelt unser Gehirn besonders schnell Dinge, die schiefgehen und eine Gefahr darstellen. Diese werden überstark wahrgenommen, ungefähr im Verhältnis 3:1. Denn in der frühen Menschheitsgeschichte war es überlebensnotwendig, Gefahren frühzeitig zu erkennen. Sie lauerten ja an jeder Ecke. Dieses Prinzip gilt auch noch heute: Was schiefläuft, wird 3-Mal so stark wahrgenommen wie das, was gut läuft.
Unsere Leistungsgesellschaft tut das ihre dazu. Wir verlernen anzuerkennen, wer wir sind. Das Schöne zu sehen, das Gute zu lieben. Doch können wir neu sehen lernen: Indem wir uns auf das Gute, das Schöne, das, wofür wir dankbar sind, fokussieren. Nein, damit verschließen wir nicht die Augen vor der Not; im Gegenteil: Wenn wir wahrnehmen, wie reich unser Leben gesegnet ist, werden wir erst recht in unsere Kraft kommen und für das Gute einstehen. „Prüfet alles, aber das Gute behaltet“, schreibt auch Paulus in 1. Thess 5,21.
Übung: Der Schlüssel zum Perspektivwechsel – Unsere aktuelle Sichtweise ist wie ein Trampelpfad, den wir tagtäglich automatisch gehen. Doch wir können neue Pfade bahnen, wenn wir ein lohnendes Ziel haben und beharrlich darauf zugehen. Üben, jeden Tag üben. Das ist also der Schlüssel zur Schatzkammer unseres Lebens.
Diese Erkenntnis war der Anstoß für meine wundervolle Radreise im Jahr 2018. Üben wollte ich, 66 Tage lang, denn ich hatte in der Literatur zur Hirnforschung gelesen, dass wir ca. 66 Tage lang brauchen, um eine stabile Gewohnheit zu entwickeln und neue Wege zu bahnen. Nun ja, wenn ich ehrlich bin, hat mir die Zahl 66 besonders gut gefallen. In der Literatur habe ich ganz verschiedene Angaben gefunden. Denn natürlich kommt es immer darauf an, was wir üben wollen. Ich jedenfalls habe mich auf eine 66-tägige Radreise begeben, habe Workshops an Schulen und in Kirchengemeinden zu den Themen Wertschätzung und Dankbarkeit durchgeführt und zudem 66 Tage lang geübt. Dazu habe ich drei ganz simple, aber folgenreiche Grundformen entwickelt.
Drei Blickwinkel – Sammle jeden Tag und in jedem Augenblick, was dich dankbar stimmt, was dich glücklich macht, was dein Leben reich macht. Du wirst eine große Veränderung in deiner Wahrnehmung erleben.